Sich sicher fühlen, im Stillstand

Alle meine Freunde haben einen Schrebergarten. Nur ich nicht.

Wenn ich im Sommer von einer Radfahrerin in Leipzig überholt werde und sehe, dass sie eine grasgrüne Gießkanne auf dem Gepäckträger gebunden hat, spüre ich den Neid. Neid, dass diese Person sich um einen ihr zugeteilten Abschnitt Erde kümmern darf. Neid, dass sie in der prallen Hitze Unkraut jätet, sich mit der nervigen Nachbarin um den Himbeerstrauch streitet, weil er zu nah an der Grenze ist, und Neid, dass die Schnecken schon wieder allen Rucola aufgefressen haben.

Das wären Probleme, die ich gern hätte. Doch mein Projekt Schrebergarten steht still. Stillstand. Entweder kommt nicht der richtige Garten zu mir oder ich finde das perfekte Gartenparadies, aber der Übergabepreis ist unverschämt teuer.

Stillstand.

Während scheinbar alle anderen zu ihren Schrebergärten radeln und die Zeit ihres Lebens dort haben.

Ja, du liest Sarkasmus heraus. Ja, ich weiß, dass es nicht nur Hängematte und frische Himbeeren naschen ist. Ja, ich romantisiere den Schrebergarten – aber den Stillstand, um einen zu haben, nicht.

Und dann habe ich diesen Impuls – etwas zu tun, auch wenn es nichts zu tun gibt. Mehr als schauen, den Buschfunk der Großstadt zu aktivieren und aktiv zu suchen, geht nicht. Ich will trotzdem irgendetwas tun. Kennst du das, dieses kleine Unwohlsein, wenn es still wird? Wenn sich nichts tun will?

Ein leiser, ungeduldiger Zweifel, der fragt: „Habe ich wirklich alles getan, um jetzt nichts mehr zu tun?“

Dieses Gefühl begleitet mich schon lange, wie ein treuer Begleiter – ungebeten und doch öfter da. Es taucht auf, wenn ich mir Zeit nehme, wenn ich langsamer werde, wenn ich mich entscheide, mich selbst zu nähren, anstatt zu funktionieren. Es scheint, als würde ein Teil von mir sagen: „Das ist nicht sicher. Es ist nicht sicher, nur zu sein.“ Früher hätte ich mich vielleicht beeilt, diesen Gedanken wegzuschieben, ihn zu überdecken mit Aufgaben, Verpflichtungen, irgendetwas Produktivem. Aber in letzter Zeit versuche ich, ihm zuzuhören.

Ich habe alles getan. Ich werde jetzt nicht zur Schrebergarten-Fanatikerin und täglich beim Gartenvorstand anrufen – so weit will ich nicht gehen, und das liegt mir auch fern. Aber ich muss doch etwas leisten, um etwas zu bekommen? Aber ich muss doch viel leisten und immer weiter, am besten immer mehr, um dafür etwas zu bekommen? Oder?!

Wenn wir als Kinder gelernt haben, dass Leistung gleich Sicherheit bedeutet, dann kann das Erwachsensein wie eine ständige Aufforderung erscheinen, sich zu beweisen. Es wird zur Gewohnheit, wie eine innere Struktur, die uns Halt gibt – und doch hält sie uns manchmal auch gefangen.

Ich erinnere mich an ein Zitat, das sagt, der Lehrer kommt, sobald der Schüler bereit ist.

Also übersetzt könnte das heißen: Der Garten wird zu mir kommen, sobald ich bereit bin. Nun ja, ich weiß, das Gartenthema ist für die, die ein Eigenheim und einen eigenen Garten haben, vielleicht gar kein Thema. Doch ich weiß, dass wir alle etwas im Leben haben, das auf Stillstand steht, und wir es schwer finden, auszuhalten. Da gibt es die leichteren Themen wie „Wann kommt endlich mein Paket, ich habe doch schon vor 4 Tagen bestellt?“ Der Stillstand auf der Waage, wenn wir eine Ernährungsumstellung hatten, und auch die schwereren Themen, die unser Herz schwer machen – wie das Warten, dass ein Baby zur Familie kommt, der unerfüllte Kinderwunsch oder das Kinderkriegen, das auf Stillstand steht. Stillstand auf der Baustelle, beim Haarewachsen, bei der Genesung des gebrochenen Beins.

Stillstand fühlt sich unsicher an, weil wir sozial geprägt sind, etwas zu tun, Leistung zu erbringen. Wenn wir viel Sichtbares erreichen, dann, ja dann, sind wir erfolgreich – also gut genug. Was, wenn der Stillstand uns jedoch eine andere Lektion erteilen möchte, oder uns vielleicht auch nur zum Reflektieren auffordert? Was, wenn der Stillstand ein wichtiger Teil des ganzen Prozesses ist und wir in unserer schnelllebigen, dringlichen modernen Welt total die Relation verloren haben?

Wir drücken auf einen Knopf auf dem Bildschirm, und abends wird uns schon das gewünschte Ding geliefert. Wir schalten den TV ein und können über verschiedene Streaming-Dienste sofort eine ganze Serie mit ihren 15 Episoden durchschauen, statt eine Woche auf die neue Folge zu warten.

Was, wenn der Stillstand einer der kraftvollsten und mächtigsten Momente sein kann?



Wie kannst du also diese Momente navigieren?

Still“ stammt vom althochdeutschen „stilli“ (ruhig, ruhig stehend) und bezeichnete ursprünglich etwas, das ruhig, unbewegt oder ruhig war.

Stand“ kommt vom althochdeutschen „stant“ (das Stehen, der Stand) und bezeichnete ursprünglich den Zustand des Stehens oder des Verharrens in einer Position.

Es bedeutet also erstmal, dass du ruhig und still stehst. Doch unsere Gesellschaft hat dies als negativ bewertet und nutzt Stillstand nun als Definition, wenn es keinen Fortschritt gibt.

Ich mag es, die Herkunft von Wörtern zu betrachten, denn sie helfen uns, unsere Welt besser zu verstehen, statt das, was uns unsere Sozialisierung oder die Gesellschaft damit vermittelt.

Du stehst. Mit den Füßen auf dem Boden. Still und ruhig. Wir wissen noch nicht, was als Nächstes kommt. Wir bewegen uns in keine Richtung und können noch nicht recht erkennen, was als Nächstes ist. Eine Pause.

Ich erinnere mich also an meinen Wunsch, einen Schrebergarten zu haben. Ich stehe standhaft mit meinem Wunsch und den Taten, die ich dafür gemacht habe, und es ist ruhig. Still. Ruhig. Stehend. Stand. Stillstand.

Ohne die Geschichten, die wir uns dazu erzählen, ist es, was es ist. Es hat wenig emotionale Aufladung. Oder?

Vielleicht sieht der Stillstand auch nur von außen so aus.

Dein Paket ist noch nicht da. Niemand klingelt an der Tür. Deine Periode ist gekommen, dieses Mal klappte es „wieder nicht“. Vielleicht sind das Einladungen, um ruhig zu werden, um nach innen zu blicken, zu reflektieren – und vielleicht sind es auch Momente, in denen ganz viel Wichtiges passiert, nur wir bekommen es nicht mit oder es übersteigt unsere Wahrnehmung.

Stillstand lädt uns ein, nach innen zu blicken. Dieser Raum ist kraftvoll.

Im Daoismus (China), besonders in den Schriften des „Dao De Jing“, sieht Stillstand als eine Form von harmonischem Gleichgewicht. Laozi beschreibt das Konzept des „Wu Wei“ (Nicht-Handeln oder Handeln im Einklang mit dem natürlichen Fluss), das eng mit der Idee des Stillstands verbunden ist.

Es bedeutet nicht völlige Passivität, sondern eher das Verweilen im Zustand der inneren Ruhe und des Loslassens von Widerstand gegen das, was ist. In diesem Zustand wird der natürliche Fluss des Lebens nicht gestört, sondern man handelt auf die subtilste, harmonischste Weise.


Stillstand ist der Raum, um die Rhythmen der Natur wahrzunehmen. Es ist eine Initiation, wenn uns Stillstand begegnet. Stillstand ist wichtig und trägt eine Art Magie in sich.


Wir müssen Zeit im Stillstand verbringen, um unser volles Potenzial zu erreichen, wenn wir daraus heraus treten. Stillstand ist nichts, was wir schnell hinter uns bringen sollten. Ich weiß noch, als es zu einem Stillstand unter der Geburt bei einem meiner Söhne kam, konnte ich endlich mal durchatmen, einschlafen und Kraft schöpfen, bevor es mit den Wehen weiterging. Es hätte nicht geklappt, diesen Stillstand schnell wegzumachen. Stattdessen brauchte ich ihn in einer gewissen Art und Weise (in meinem Fall, weil es uns beiden gut ging unter der Geburt).

Kannst du vertrauen, dass es einen magischen Anteil gibt beim Stillstand? Und erlaube den Dingen, sich zu entfalten.

Wenn du eine Praxis, eine Übung magst, um etwas von der Magie des Potentials des Stillstands zu erleben, baue sie in deinen Alltag ein. Das kann so aussehen, dass du dich still und ruhig hinlegst. Mache es dir so gemütlich wie nur möglich und lege ein Tuch oder ein Augenkissen auf deine Augen. Stillstand – du, dort auf deiner Couch. Beginne mit 2 Minuten, 7 sind toll, vielleicht auch irgendwann mal 15 Minuten.

Pflege deine Pflanzen, auch wenn du nicht siehst, dass sie wachsen oder Fortschritte machen. Ehre den Stillstand in deinem Umfeld. Ehre deine Eingangstür – die dort Tag ein, Tag aus für dich still und ruhig standhaft steht.

Ich bringe gerne ätherische Öle ins Putzmittel. Pfefferminze oder Mandarine für einen frischen Duft, aber auch, um Licht reinzubringen, schöne Energie und auch Schutz. Und dann kümmere ich mich mit Hingabe um meine Wohnung und die Dinge, die Stillstand für mich ausstrahlen. Boden, Tür, Fenster etc. Alles, was ich dem Element Erde zuordne, fühlt sich passend an zum Stillstand. Ich pflege meine Holzmöbel, und so kannst du ganz physisch dich um Stillstand kümmern, aber auch um die Momente und Situationen, die Stillstand in sich haben.

Ich liebe es, mir im Kalender feste Zeiten einzuplanen für nichts tun.

Einen Zeitraum blocken, an dem ich nichts plane. Keine Telefonate mit Freundinnen, keine kreativen Leidenschaften, kein Töpfern, kein Aufräumen, keine Wäsche falten. Ein fester Zeitraum, dem ich bewusst den Stillstand gebe. Und wie du hoffentlich mittlerweile spürst – Stillstand ist nicht immer unbedingt Stille und dass nichts passiert. Und doch plane ich diese Zeit ein, um meinem Nervensystem zu zeigen: Es ist sicher, nichts zu tun. Es ist sicher, nicht jede Minute zu verplanen.

Wann immer du im Stillstand bist, halte inne. Dort ist eine neue Potenzial-Ära, die auf dich wartet, eine neue Situation. Alles, was es braucht, ist, dass du es dir bequem im Stillstand machst. Genieße es und die Zeit, die nur eine Phase deines Lebens sein wird.