In den Momenten, in denen Stress dich wie ein dunkler Nebel umhüllt, die To-Do-Listen endlos scheinen und dein eigenes Wohlbefinden hinten ansteht – hier beginnt Raum halten. Nicht als weitere Aufgabe, sondern als Einladung, dir selbst auf Augenhöhe zu begegnen.
Raum halten ist keine Methode, die Stress einfach verschwinden lässt. Es ist ein innerer Schritt zur Seite, ein Raum, den du dir öffnest, um dich selbst zu sehen, wie du bist – mitten im Chaos, mitten in der Müdigkeit. Raum halten ist der Moment, in dem du dich selbst zur Ruhe rufst, ohne etwas reparieren zu müssen. Ein Versprechen an dich, dass es okay ist, so wie es gerade ist.
Aber was bedeutet es, wirklich Raum zu halten?
Wenn du an einen schwierigen Tag zurückdenkst, an dem die Last deiner eigenen Erwartungen und die der Welt auf deinen Schultern ruhten, wie hast du dich behandelt? Warst du liebevoll und geduldig oder eher kritisch? Wahrscheinlich ein bisschen von beidem. Raum halten ist das Geschenk, das wir uns in solchen Momenten machen können. Es ist das Versprechen, uns selbst nicht wegzuwischen, sondern mit uns selbst zu sein – auch wenn es mal unbequem wird.
Raum halten – für dich selbst
Wie du auch für andere Raum halten kannst, lässt sich von diesen 10 Elementen ableiten und beschreibe ich gerne in einem zukünftigen Blogartikel.
1. Sei eine Zeugin
Es klingt einfach: Sich selbst sehen. Doch wie oft übersehen wir uns im Eifer, alles zu „schaffen“? Raum halten beginnt hier: Sieh dich selbst. Sei dir Zeugin, ohne dass du alles gleich verstehen oder lösen musst. Schau, wie du dich heute fühlst – vielleicht müde, vielleicht aufgewühlt. Stell dir vor, du hältst dir selbst die Hand, ohne Erklärungen, ohne Erwartungen. Du bist hier. Du bist wichtig. Du darfst einfach sein.
2. Schutz
Manchmal, wenn das Leben uns aufwirbelt, fühlen wir uns nackt, ungeschützt. Raum zu halten bedeutet, auch Schutz zu schaffen. Vielleicht ist das eine weiche Decke oder ein warmes Bad, vielleicht eine halbe Stunde abseits des Trubels. Dein Bedürfnis nach Sicherheit ist echt und verdient deinen Respekt. Finde zurück zu deinem inneren Zuhause. Erinnere dich daran, dass Schutz kein Luxus ist, sondern dein Recht.
3. Zeige Mitgefühl
Wie würdest du dich selbst betrachten, wenn du die Augen einer besten Freundin hättest? Vielleicht würdest du dir sagen: „Es ist okay, dass du müde bist. Es ist okay, dass dir manchmal alles zu viel wird.“ Diese Augen des Mitgefühls sind wertvoll, denn durch sie darfst du das Urteil fallen lassen und dir selbst mit Sanftheit begegnen. Raum halten heißt, dass du dir selbst die Freiheit gibst, ein Mensch mit all deinen Fehlern und Stärken zu sein.
4. Eine selektive Urteilsfreiheit
Oft hören wir, dass Raum halten bedeutet, urteilsfrei zu sein. Doch seien wir ehrlich – völlige Neutralität gibt es selten, und manchmal macht sie uns blind für das, was wichtig ist. Raum halten bedeutet auch, dass du deinen gesunden Menschenverstand und deine Werte nicht zurückhalten musst. Es geht darum, deine innere Wahrheit ehrlich zuzulassen, ohne das Bedürfnis, sie zu verhüllen oder sie in ein zwanghaft neutrales Licht zu stellen. Deine Werte sind Teil deines inneren Kompasses. Sie geben dir Orientierung, ohne die Sicht zu verengen.
5. Selektive Führung
In stressigen Zeiten fühlen wir uns oft wie im freien Fall, greifen nach Plänen und Anleitungen, die uns Sicherheit geben sollen. Doch manchmal ist es besser, nur einen kleinen Schritt nach dem anderen zu gehen. Dein eigener Rhythmus ist wie ein ruhiger Herzschlag, der dir zeigt, dass du deinen eigenen Weg finden darfst – ohne starre Pläne und Konzepte. Du kannst dir Stück für Stück den Raum erschaffen, den du gerade brauchst. Lerne, deinen eigenen Impulsen zu vertrauen.
6. Raum für Komplexität
Es ist verlockend, die Dinge einfacher zu machen, besonders in Momenten des Chaos. Doch Raum halten bedeutet, dass du dir auch den Luxus erlaubst, komplex zu sein. Deine Erfahrungen sind nicht immer ordentlich und leicht zu verstehen. Manchmal fühlst du dich wie ein Meer aus tausend Wellen, unberechenbar und wild. Lass es zu, dass du so vielschichtig bist. Erlaube dir, den Drang loszulassen, dich selbst in einfache Kategorien zu pressen. Je mehr Raum du deiner eigenen Komplexität gibst, desto mehr lernst du, die volle Tiefe deines Lebens zu schätzen.
Raum halten ist eine Einladung, dich in das Leben anderer und dein eigenes Leben einzufühlen – mit Akzeptanz, Mitgefühl und einem Gespür für deine eigenen Grenzen. Raum zu halten ist eine Balance, kein Rezept, das einmal perfekt beherrscht werden kann. Es ist eine fließende Praxis, die Raum gibt für Autonomie, Flexibilität und Verbundenheit.
Hier sind weitere Elemente, die dir helfen können, Raum für dich und andere zu halten:
7. Autonomie: Vertrauen in die eigene Fähigkeit, Lösungen zu finden
In Momenten der Unsicherheit liegt oft der Wunsch, die Verantwortung abzugeben und jemand anderen bitten, das Chaos zu ordnen. Doch wahre Autonomie ist das Vertrauen, dass du die Fähigkeiten hast, deinen Weg zu finden. Wenn wir uns erlauben, selbst Lösungen zu entwickeln, entsteht eine innere Stärke. Raum halten heißt, anderen nicht vorwegzunehmen, was sie für sich selbst lösen können – und uns selbst ebenfalls diesen Freiraum zuzugestehen.
8. Flexibilität: Raum halten ist keine gerade Linie
Raum zu halten erfordert eine sanfte Flexibilität. Es ist kein starrer, linearer Prozess, bei dem man von A nach B und dann nach C geht. Vielmehr fließt es, reagiert auf das, was ist, auf die Emotionen und Bedürfnisse, die im Moment aufkommen. Flexibilität bedeutet, die Erwartungen loszulassen, wie etwas „sein sollte“ und dich mit dem zu verbinden, wie es gerade ist. Diese Haltung, frei von Druck, hilft dir, Raum in seiner Natürlichkeit zu erfahren.
9. Verbindung: Dein Herz, dein Körper und das Ganze
In stressigen Momenten neigen wir dazu, uns von uns selbst zu entfernen, im Kopf gefangen, weit entfernt vom Puls unseres Herzens und den Empfindungen des Körpers. Raum halten bedeutet, dich selbst daran zu erinnern, wieder zu fühlen, dich mit deinem Herzen und Körper zu verbinden. Diese innere Verbindung führt oft auch zu einer stärkeren Verbundenheit mit dem, was größer ist als wir selbst. Eine Verbundenheit, die uns stabilisiert und stärkt.
10. Verbündete: Raum halten auf Augenhöhe
Raum zu halten funktioniert nicht aus der Ferne oder von oben herab. Es bedeutet, mitfühlend, auf Augenhöhe und solidarisch zu sein, ob für dich selbst oder für andere. Wenn du anderen Raum gibst, geht es darum, mehr zu spüren und weniger zu reden, eine Stille, die Verbindungen schafft und respektiert. Raum zu halten ist der Akt, Menschen als Verbündete anzusehen – nicht als solche, die es zu „retten“ oder zu „lehren“ gilt. Es ist ein gemeinsamer Raum, eine Einladung, in Solidarität da zu sein.
Eine lebenslange Praxis, immer wieder neu
Diese Elemente sind keine Fertigkeiten, die du „abschließen“ kannst. Raum halten bedeutet, alte Muster immer wieder bewusst loszulassen, um präsenter und menschlicher zu sein – mit dir selbst und deinem Gegenüber. Jeder dieser Aspekte hat seine Herausforderung und seine Schattenseite: Flexibilität kann ins Wischiwaschi abdriften, Verbundenheit kann den Fokus verlieren. Doch in diesen Momenten liegt der Schlüssel zur inneren Balance.
Raum halten im Selbst und in der Begleitung
Diese Ansätze des Raum Haltens gelten nicht nur für dich selbst, sondern auch in den Momenten, in denen du Unterstützung suchst – sei es in einer Beratung, in der Körperarbeit oder bei Angeboten zur Selbstfürsorge, die Stress abbauen sollen. Die Anbieterinnen dieser Angebote sind ebenfalls Raumhalterinnen. Du kannst diese Punkte als Orientierung nehmen, um zu prüfen, ob das Raum halten in deiner Begleitung für dich stimmig ist oder ob ein Aspekt fehlt, den du dir mehr wünschen würdest. Zögere nicht, das zu benennen und zu fragen, was du in deinem Prozess brauchst.
Es ist wichtig, zu erkennen, dass wir alle – ob professionell oder persönlich – menschlich sind. Raum halten ist zwar ein Konzept, das viele Fachkräfte lernen, doch es ist ein relativ neuer Begriff, der sich in der Praxis gerade erst verankert. Auch erfahrene Begleiterinnen und Begleiter wachsen noch mit diesem Ansatz und entwickeln sich weiter.
Als Ergo- und Körpertherapeutin sowie als Mama, Ehefrau oder Freundin nutze ich das Raum Haltens, professionell als Konzept oder im Privaten als innere Haltung, um für meine Klienten einen offenen und sicheren Raum zu schaffen, in dem echte Verbindung und Wachstum möglich sind. Denn letztlich geht es im Raum halten darum, uns selbst und anderen die Möglichkeit zu geben, in voller Menschlichkeit und Präsenz da zu sein – für Heilung, für Wachstum und für ein liebevolles Miteinander.
Diese Praxis des Raum Haltens bleibt lebendig. Sie ist nie perfekt und oft unbequem. Doch genau darin liegt ihre Kraft. Es ist dein Raum und dein Weg, in dem du lernst, dir selbst und anderen immer wieder neu zu begegnen.
Fazit: Raum halten ist ein liebevoller Akt
Raum halten für dich selbst ist ein liebevoller, achtsamer Akt. Es ist das leise Versprechen, dass du da bist, mit all deiner Unvollkommenheit, deiner Kraft und deiner Zerbrechlichkeit. Es ist ein Geschenk, das du dir geben darfst, wenn das Leben sich unverständlich und schwer anfühlt.
Vertrau darauf, dass du nicht immer alles „richten“ musst. Manchmal reicht es, einfach nur da zu sein – für dich selbst. Raum halten ist wie ein stilles Gebet in die Tiefe deines Wesens. Ein Versprechen, das keine Worte braucht.